Anlässlich der Athletikkonferenz am 06. September 2014 hielt ich einen Vortrag zum Thema “Crossfit® als Athletiktraining?” und habe dabei bewusst ein “heißes Eisen” angefasst. Ich möchte vorausschicken dass ich dem derzeitigen Trend “Crossfit®” kritisch gegenüber stehe, was ich nachfolgend auch entsprechend begründen werde. Trotzdem werde ich dem typischen Crossfit®-Bashing nicht folgen. Mir geht es nicht darum mich gegen Crossfit® auszusprechen, sondern aufzuzeigen warum Crossfit® aus meiner Sicht kein Konditions- und Athletikprogramm ist bzw. dieses ersetzen kann. Die Darstellung von Crossfit® beschränkt sich deshalb in erster Linie auf die relevanten Details.
Was ist Crossfit® überhaupt?
(Wer sich auskennt kann das hier überspringen.)
Aus meiner Erfahrung reden viele über Crossfit®, wissen aber gar nicht so genau, welche grundlegende Philosophie hinter der Marke steckt. Man schaut sich ein paar Videoclips im Internet an und meint dann zu wissen worum es geht. “Das ist ja einfach nur Zirkeltraining” oder “Das sind eben so High-Intensity-Workouts” hört man immer wieder, leider auch von Leuten, die es besser wissen sollten.
Greg Glassman, der Erfinder und Gründervater der Crossfit®-Bewegung hat das Ziel von Crossfit im Jahr 2007 einmal wie folgt definiert:
From the beginning, the aim of CrossFit has been to forge a broad, general, and inclusive fitness. We sought to build a program that would best prepare trainees for any physical contingency—prepare them not only for the unknown but for the unknowable.
“Prepare for the unknowable” ist eine Paradigma der Crossfit®-Idee. Ein Satz, der gebetsmühlenartig auf jeder Zertifizierung zum Crossfit®-Coach Level 1 wiederholt wird und eines der Grundmanifeste bildet ist außerdem:
We offer the world’s most useful definition of fitness: increased work capacity across broad time and modal domains. Capacity is the ability to do real work, which is measurable using the basic terms of physics (force, distance and time). Life is unpredictable (much more so than sport) so real world fitness must be broad and not specialized, both in terms of duration and type of effort (time and modal domains).
Wie das ganze graphisch aussehen soll kann man sich hier anschauen. Bei Crossfit® geht es darum die komplette Leistungskurve über alle Anforderungsbereiche zu verbessern. Das wird um im Denksystem der Crossfitter zu bleiben dadurch erreicht dass man ständig variierende Trainingsreize setzt (constantly varied programming)- soweit die Theorie. Umgesetzt wird das durch die sogenannten WOD´s (Workout of the Day), die von Crossfit®-Headquarters oder von der eigenen Box (so nennen sich die Crossfit®-Gyms) ausgegeben werden. Die WOD´s dauern normalerweise zwischen 5-20 min, teilweise gibt es auch Ausnahmen bzw. der eigene Fitnesslevel spielt natürlich eine Rolle. Die Crossfit®-Philosophie sieht vor die WOD`s immer am Limit auszuführen, also in diesem Sinne ein High-Intensity-Training. So etwas wie extensive Trainingsformen machen nach Glassman und den Verfechtern von Crossfit® keinen Sinn. Es können immer wieder neue Workouts entwickelt werden, der Fantasie von Boxbesitzern und Trainern sind eigentlich keine Grenzen gesetzt. Es gibt aber auch die Benchmark-Workouts, die in Abständen immer wieder auftauchen und ein Maßstab für die Entwicklung der Crossfitter darstellen. Diese Workouts haben häufig Frauennamen (The Girls) oder Heldennamen (Heroes) aus Militär, Feuerwehr oder Polizei. Der Klassiker unter den “Girls” ist “Fran” und unter den Heroes “Murph“.
Fran: 21-15-9 (Wiederholungen) Thrusters 42 kg Pull-Ups Murph: Auf Zeit 1-mile run 100 pullups 200 pushups 300 air squats 1-mile run
Es gibt im Crossfit® drei verschieden Bewegungskategorien: Weightlifting, Gymnastics und Monostructural. (vgl. Mackenzie 2012 – ein Buch zum Thema Crossfit® -Endurance) Es gibt im 4 verschiedene Arten einen Workout durchzuführen (vgl. Mackenzie, 2012): Und so sieht der Theorie nach ein Beispiel einer Wochenplanung aus (vgl. Mackenzie, 2012). Wer sich genauer mit Crossfit® beschäftigen möchte kann das Crossfit-Journal zu Rate ziehen. Das Journal ist eine Fundgrube mit (teilweise) sehr gutem Inhalt rund um das Thema Training, Crossfit®, Ernährung etc..
Was ist Konditions- und Athletiktraining?
Das hört sich zunächst einfacher an als es ist, denn die Zahl der Experten auf diesem Markt ist gewaltig und die Antworten dürften deshalb unterschiedlich ausfallen. Ich versuche dennoch einen gemeinsamen Nenner ausfindig zu machen und aufzuzeigen.
Michael Boyle hat 2013 in einem Workshop folgende Ziele eines Athletiktrainings definiert:
- Vermeidung von Verletzungen im eigentlichen Trainingsprozess.
- Vermeidung von Verletzungen in der Zielsportart.
- Leistungssteigerung / (Steigerung des Wohlbefindens)
Punkt 1 hört sich lapidar an, wird aber nach meiner Erfahrung nicht immer bedacht. Wer Methoden auswählt, um seine Athleten fit zu bekommen, die ein hohes Risiko für Verletzungen aufweisen handelt in meinen Augen als Athletiktrainer fahrlässig. Punkt 2 und 3 sind unstrittig. Das sind die beiden großen Themen um die wir uns kümmern müssen. Die Schwerpunktsetzung erfolgt in der Verantwortung eines jeden Athletiktrainers.
Der Prozess eines Konditions- und Athletiktraining sollte folgende 6 Schritte umfassen:
Warum Crossfit® kein Athletiktraining ist
Wie aus den Ausführungen klar geworden ist geht es den Crossfittern um eine breit gefächerte Fitness, im Athletiktraining dagegen führen wir eine Bedarfsanalyse der Zielsportart durch. Crossfitter spezialisieren im Nichtspezialisieren, Athleten wollen sich in Ihrer Sportart aber genau spezialisieren. Das ist ein gewaltiger Unterschied. Außerdem nutzen wir in einem professionellen Umfeld entsprechend den Anforderungen einer Sportart geeignete Tests und orientieren unser Training und die Trainingsplanung an bestimmten Anforderungen, die sehr spezifisch sind bzw. sein sollten.
Auf der Website von Crossfit findet sich folgendes Statement zur Frage “What is Crossfit?”:
We’ve used our same routines for elderly individuals with heart disease and cage fighters one month out from televised bouts. We scale load and intensity; we don’t change programs.
The needs of Olympic athletes and our grandparents differ by degree not kind.
Dieser Ansatz ein generelles, grundlegendes Training für alle, anstatt ein spezielles Training für die unterschiedlichen Zielgruppen anzubieten ist aus meiner Sicht schlichtweg unsinnig. Meine betreuten Profibasketballer sollen also das gleiche Programm abspulen wie ein älterer Mensch mit koronarer Herzkrankheit? Das widerspricht dem SAID-Prinzip (Specific Adaption to Imposed Demand), das besagt, daß die Art des Trainingsreizes die Richtung der Anpassung bestimmt. Im Übrigen widersprechen sich die Crossfit®-Verantwortlichen hier selbst mit dem Angebot von Spezialisierungskursen wie Crossfit® Endurance oder Crossfit® Football. Denn wäre Crossfit® das geeignete Athletiktraining für jeden und muss nur entsprechend skaliert werden – wie gerne propagiert – wären Modifikationen unsinnig?!
Im Übrigen gilt: Nur weil sich Crossfit® evidenzbasierter Übungen bedient, die erfolgreich im Athletiktraining angewandt werden (Langhanteltraining, Kniebeugen etc.) ist Crossfit® selbst noch keine evidenzbasierte, geeignete Methode um Athleten gezielt auf ihre Sportarten vorzubereiten. Gott sei Dank hat auf die Kniebeuge noch niemand ein Patent angemeldet…
Konditions- und Athletiktraining sollte auf alle Fälle langfristig spezifisch und effektiv geplant werden.
Was ist an Crossfit® außerdem noch problematisch?
Es gibt eine Reihe von Dingen, die mich bei der Thematik Crossfit® stören. Leider muss ich immer wieder bei betreuten Athleten feststellen, dass es zu Überlastungen und Verletzungen kommt, weil z.B. neben dem eigentlichen Training noch in einer Box trainiert wird oder verantwortliche Trainer aus den Sportarten meinen Crossfit® sei ein geeignetes Zusatztraining für Spielsportler. Das Problem ist oft, dass der Trainingszustand vieler Spielsportler (bezogen auf Krafttraining) derart defizitär ist, dass erst einmal jede (!) Form des Trainings Fortschritte bringt. Man kann also (leider) jeden Hilfstrainer hinstellen und kann nach kurzer Zeit Verbesserungen und damit Erfolge aufweisen. Deshalb tummeln sich auf dem professionellen Athletiktrainermarkt etliche Gurus aus der Fitnessszene. Ich möchte aber in aller Deutlichkeit sagen: Es geht hier nicht darum einzelne Denkschulen oder Ansätze zu diskreditieren, sondern klar zu machen, dass modernes Konditions- und Athletiktraining möglichst ideologiefrei und umfassend sein sollte. In diesem Sinne gilt es die folgenden Sätze zu verstehen. Da gibt es den ehemaligen Bodybuilder, der das Krafttraining für die Spielsportler “managt” und “plant”. Da gibt es den Wissenschaftler, der besessen ist davon, mit Zahlen zu operieren und am liebsten die komplette Saison über nur Tests macht, es gibt den ambitionierten Physiotherapeuten, der nur Defizite sieht und der Meinung ist, dass alle Athleten sowieso noch nicht bereit sind und erst noch “corrective excercises” bis zum Abwinken machen müssen.Während der letzen Jahre ist noch der Functional Trainer dazugekommen, der am liebsten nur im 3-dimensionalen Raum auf wackliger Unterlage mit zahlreichen Gimmicks aus der Fitnessbranche arbeitet. Jetzt kommt also noch der Crossfitter dazu, der am liebsten mit den Sportlern mitmacht um zu zeigen was für ein toller Hecht er selbst ist und dabei die Botschaft verbreitet, dass ein Workout nur dann gut war, wenn Du gekotzt hast und Dich anschließend drei Tage nicht mehr bewegen kannst.
Pain is weakness leaving the body.
That what doesn’t kill me makes me strong.
Wer kennt nicht solche oder ähnliche Sprüche, aber das kann nicht der Anspruch an einen professionellen Athletiktrainers im Jahr 2014 und für die Zukunft sein. Übrigens ist mir das Health-Fitness-Modell von Glassman schon während meiner Crossfit®-Zertifizierung aufgestossen. Es kann durchaus vorkommen, dass ein Mensch 180 kg Kniebeugen vollbringt und an Krebs leidet. Fitness (Leistung) hat also keineswegs immer unbedingt etwas mit Gesundheit zu tun. Und die Argumentation, dass von zwei Patienten, derjenige mit der stärkeren Leistungsfähigkeit besser dran ist hinkt etwas.
Über die Art und Weise der Trainingsplanung kann man ausgedehnt streiten, auf diesen Punkt will ich aber nur kurz eingehen. Ich denke nicht dass viele Athleten, die an den Crossfit®-Games teilnehmen, sich streng an die Methodologie von Crossfit®-Headquarter anlehnen, auch wenn das öffentlich kaum jemand zu geben will. In persönlichen Gesprächen in den USA mit Crossfittern, die an den Games teilnahmen und teilnehmen hat sich immer wieder gezeigt, dass ganz spezifisch auf die persönlichen Stärken und Schwächen der Athleten und auch Athletinnen eingegangen wird (wie in jeder anderen Sportart auch).
Was mich allerdings massiv stört an der Crossfit®-Community ist die Community selbst. Das trifft natürlich nicht alle, man muss wie immer aufpassen mit pauschalen Aussagen, aber es geht hier um eine grundsätzliche Tendenz. Die Art und Weise wie mit Kritikern umgegangen wird und wie wenig kritikfähig die Crossfit®-Bewegung (HQ) ist sucht seinesgleichen. Derzeit läuft ein Prozess von Crossfit® gegen die National Strength & Conditioning Association NSCA. Es gibt aus meiner Sicht wenige Programme oder Methoden, die sich im Laufe der Zeit auf Grund neuer Erkenntnisse nicht weiterentwickeln oder verändern. Doch hier sucht man bei Crossfit® (größtenteils) vergebens. Jeder Kritikpunkt wird mit starrsinniger Sturheit abgelehnt. In einem Gespräch mit einem deutschen Crossfit®-Box-Betreiber bekam ich zu hören: “Wir diskutieren nicht!” – das ist ja eine “professionelle Grundhaltung”, zeigt aber doch auf, dass man sich nicht mit Kritik auseinander setzen will. Das Problem der Innen-Außen-Spaltung der Crossfit®-Community gleicht teilweise einer Sekte. Das hat zweifellos auch mit der teilweise übertriebenen Kritik an Crossfit® zu tun. Viele Crossfit®-Gegner machen denke ich den grundsätzlichen Fehler Crossfit® nicht als eigene Sportart anzusehen, sondern genau als das was Crossfit® nicht ist, nämlich ein Trainingsprogramm. Wenn jeder anfangen würde plötzlich Rugby zu spielen wäre die Verletzungsmisere vermutlich größer als beim Crossfit®, nur kommt glücklicherweise keiner auf die Idee eine 48-jährige Hausfrau einfach mal mit trainieren und mitspielen zu lassen. Das ist beim Crossfit® genau das Problem. Es werden zwei Kategorien (Sportart und Fitnesstraining) vermischt, das führt zwangsläufig zu Missverständnissen. Wer Crossfit® als eine Art Konditions- und Athletikprogramm versteht hat zu Recht zahlreiche Kritikpunkte. Wer es aber als eigene Sportart ansieht, kann zwar die Sportart ablehnen, aber sollte ansonsten keine Probleme haben.
Der letzte Kritikpunkt an Crossfit ist etwas heikel. Es geht um das Thema Doping und hier kann man schnell als Verleumder abgestempelt werden. Ich empfehle zunächst den Artikel von John Romano. Ich war 7 Jahre in der Dopingprävention tätig und kenne dopende Sportler seit meinem 14. Lebensjahr, d.h. ich bin zu lange im Sport unterwegs um hier die Augen zu verschließen. Auf die Gefahr hin, dass ich beschimpft und beleidigt werde, aber ja – im Crossfit® wird genauso gestofft und geschluckt wie in anderen Sportarten auch. Mir kommt Crossfit® wie das neue Body-Building vor. Natürlich gibt es saubere Crossfitter, schaut man sich die Leistungsentwicklung der letzen Jahre an und das derzeitige Niveau, dann muss man entweder naiv, planlos oder verlogen sein, wenn man verleugnen will dass im Crossfit® gedopt wird. Da ich mich zu keiner der genannten Gruppen zähle lehne ich mich hier entsprechend aus dem Fenster. Sollte im Crossfit® ein glaubwürdig organisiertes Kontrollsystem implementiert werden können wir weiter diskutieren. Wenn also junge Athleten und Athletinnen jetzt irgendwo in der Crossfit®-Szene trainieren besteht dasselbe Risiko wie früher bei den einschlägigen Muckibuden, die manch einen erst zum Medikamentenmissbrauch brachten. Mehr will ich zu dieser Thematik gar nicht sagen.
Und nun zu den positiven Faktoren von Crossfit®
Crossfit® bewegt Menschen – und zwar in ungeahntem Ausmaß wie es keine andere Fitnessbewegung seit langer Zeit vollbracht hat. Und das ist gut so. Darüber hinaus propagiert das Crossfit®-System Ernährung als zentralen Basisbaustein des Sporttreibens was noch keinem anderen Fitnesstrend so gelungen ist. Ich habe sehr, sehr viele exzellente Crossfit®-Trainer kennenlernen können, die sich sehr um Ihr Klientel bemühen und sich auch der Problematiken bewusst sind, die falsch angeleitetes Training schaffen kann. Wer sich allgemein fit halten will und die richtige Box erwischt, tut sich mit Sicherheit etwas Gutes und ist besser dran als die “Coachpotato” von Nebenan. Die vielgelobte Community bringt den Aspekt des Sporttreibens zurück, der in den herkömmlichen Fitnessstudios zum Teil verloren gegangen ist. Beim Crossfit® laufen die Teilnehmer nicht mit Handy in der Hand und Kopfhörer im Ohr wie Zombies auf Valium durch die Gegend. Und das ist gut so!
Ich denke man sollte Crossfit® als Sportart betrachten, das relativiert die Kritik. Wie viele Verletzungen gibt es beim Fußball, Boxen oder American Football? Als Athletiktrainer halte ich es für relativ sinnfrei 30 mal zu Reißen und das Ganze noch auf Zeit. Im Sport Crossfit stellt das aber eine Anforderung dar, auf die ich mich vorbereiten kann. Das ist dann kein zielgerichtetes Athletiktraining – und genau hier sollten wir genau unterscheiden!